Was passiert, wenn die 450 Tonnen schwere ISS im Jahr 2031 abstürzt?

Nach Plänen der Nasa soll die Internationale Weltraumstation ISS in acht Jahren kontrolliert zur Erde stürzen. Ein gewaltiges Spektakel – und eine Umweltkatastrophe?

Die Internationale Raumstation (ISS) feiert Geburtstag - Ein Rückblick zum  20. - Aviaspace Bremen Point Nemo

Über 100 Meter breit, 450 Tonnen schwer: Die Internationale Raumstation ISS ist nicht nur das größte menschengemachte Objekt im All. Als gemeinsames Projekt der Raumfahrtagenturen der USA, Russlands, Japans, Europas und Kanadas ist die ISS auch eines der beeindruckendsten Zeugnisse internationaler Forschungszusammenarbeit. Doch ihre Lebensspanne ist begrenzt. Nur noch bis zum Jahr 2031 soll das fliegende Labor in rund 400 Kilometer Höhe die Erde umrunden. Nach insgesamt 33 Dienstjahren ist dann Schluss. Aber wie holt man ein so riesiges Flugobjekt aus seiner Umlaufbahn? Wie entsorgt man es?

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hat verschiedene Szenarien durchgespielt – und sich für einen kontrollierten Absturz entschieden. Das Vorzeigeprojekt der internationalen Raumfahrt soll voraussichtlich im Januar 2031 in einem Feuerball über dem südlichen Pazifik aufgehen.

Aber nicht ohne gründliche Vorbereitung: Einige Jahre vor dem eigentlichen Absturz wird die ISS auf eine geringere Reiseflughöhe gebracht. Der Luftwiderstand in einigen Hundert Kilometer Höhe ist zwar sehr gering, wird aber dazu beitragen, dass die ISS weiter an Höhe verliert. Etwa drei Transportflüge zur ISS, so schätzt man bei der Nasa, werden nötig sein, um ihre Bahn zu korrigieren und giftige oder radioaktive Materialien sicher zum Erdboden zu befördern. Die Ausschreibungen für die finalen Transportmissionen laufen seit dem vergangenen Jahr. Noch bis zum 12. Februar 2024

Bis wenige Monate vor dem Absturz soll die Raumstation bemannt bleiben – um so lange wie möglich die Kontrolle über sie zu behalten. Ab einer Höhe von etwa 280 Kilometern gibt es für die ISS kein Zurück mehr: Bei wachsendem Luftwiderstand werden zuerst größere Bauteile wie die riesigen Solarpaneele abbrechen. Schließlich werden auch die Module der eigentlichen Raumstation auseinanderbrechen. Bei einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern pro Stunde erzeugt die Reibung der dichter werdenden Atmosphäre eine gewaltige Hitze, kleinere Teile und die Außenhaut der Station verglühen. Die einst riesige Anlage der ISS wird in viele Teile zerbrechen. Was nicht in der Atmosphäre verglüht, stürzt schließlich ins Meer.

Letzte Ruhestätte am Point Nemo, dem einsamsten Ort der Erde

Sorgen, dass die Überreste der ISS Schaden anrichten, macht sich bei der Nasa niemand – falls alles nach Plan läuft. Denn die Flugbahn der ISS wird so ausgerichtet, dass der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre über dem Südpazifik erfolgt, am Point Nemo. Die Region ist auch als der "einsamste Ort der Erde" bekannt: Der rechnerisch ermittelte Punkt liegt zwischen drei Inseln, jeweils 2688 Kilometer entfernt. Hier liegen schon heute die Überreste von fast 300 Raumfahrzeugen, vor allem von ausgemusterten Satelliten. Aber auch Trümmerteile von echten "Brocken" ruhen hier, darunter die russische Raumstation "Mir".

Der wichtigste Vorteil eines Absturzes über dem Meer gegenüber allen anderen Optionen ist offensichtlich: Das Verletzungsrisiko für Menschen, aber auch für große Meeressäuger wie Wale, sei sehr gering, heißt es in einem Nasa-Papier aus dem Jahr 1996. Auch mit Beschädigungen an Schiffen sei kaum zu rechnen, zumal Schiffsbesatzungen in der betroffenen Region vorab gewarnt würden.

Der Grund für diese Einschätzung ist die geringe Dichte von Trümmerteilen: Den "Weltraumschrottplatz" am Point Nemo muss man sich nicht wie einen oberirdischen Schrottplatz vorstellen. Denn der Wiedereintritt der Satelliten in die Erdatmosphäre erfolgt in einem flachen Winkel; in einer Höhe zwischen 70 und 100 Kilometern werden zuerst größere Teile der ISS auseinanderbrechen, auf eigenen Bahnen weiterfliegen und teilweise verglühen. Auf einer Fläche von etwa 40 Kilometer Breite und 1000 Kilometer länge könnten nicht verglühte Bruchstücke der Raumstation niedergehen – zusammen nicht mehr als ein Fünftel der ursprünglichen Masse.

Was von der ISS den heißen Ritt durch die Atmosphäre übersteht, durchschlägt die Wasseroberfläche – und sinkt dann gemächlich zum bis zu vier Kilometer tiefen Meeresboden. Die Auswirkungen auf die Meeresumwelt schätzt die Nasa gering ein. Ein Grund dafür: Es gibt fernab aller Landmassen kaum Nährstoffeinträge über die Luft oder durch Flüsse. Darum ist das Wasser rund um Point Nemo so klar wie nirgends sonst auf der Erde – und nur extrem dünn besiedelt von Meeresorganismen. Ein Bremer Forschungsteam fand um den Point Nemo herum im Jahr 2019 "die wohl geringste Zelldichte, die je im Ozean gemessen wurde".

Was den Meeresboden erreicht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach schnell im Sediment versinken oder von Tiefseelebewesen besiedelt werden, heißt es in dem Nasa-Bericht. Abgesehen von einer "lokalen" und "temporären" Störung der Ozonschicht durch chemische Reaktionen erwarten die Experten von der heißen ISS-Verschrottung keine nennenswerten Schäden für die Umwelt. Oder zumindest keine, von denen Menschen je erfahren werden.

Tatsächlich dürfte die größere Gefahr für Mensch und Meeresumwelt von den dutzenden Schiffen ausgehen, die, teils mit giftiger Fracht, jedes Jahr sinken. Und immer ohne langjährige Vorbereitung.

Der Aufbau der ISS | WEB.DENeues Modell der ISS für UNIVIEW

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