Testprojekt in Tiefgarage: So
wenig Strom brauchen Elektroautos
Wie viel
Strom ist erforderlich, um eine Tiefgarage mit fast 60 Elektroautos
zu betreiben? Das Ergebnis hat sogar den Netzbetreiber überrascht.
Eine Analyse
von Friedhelm
Greis veröffentlicht am 23. April 2021, 7:00 Uhr
Der Ladebedarf in einer vollständig
elektrifizierten Tiefgarage lässt sich mit einem Bruchteil der maximal
abrufbaren Ladeleistung der Elektroautos decken. Das hat ein Testprojekt des
baden-württembergischen Netzbetreibers Netze BW in einer Wohnanlage bei Tamm in
der Nähe von Stuttgart ergeben. An den 58 Ladepunkten fanden in den 16 Monaten
maximal 13 Ladevorgänge gleichzeitig statt.
Die maximale verfügbare Leistung
von 124 kW im sogenannten E-Mobility-Carré sei kein
einziges Mal vollständig abgerufen worden, sagte ein Sprecher von Netze BW auf
Anfrage von Golem.de. Der sogenannte Gleichzeitigkeitsfaktor lag demnach bei
0,22. Dieser berechnet sich aus dem Verhältnis der gleichzeitigen Ladevorgänge
und der Zahl der Ladepunkte. Damit bestätigten sich vorläufige Werte aus den ersten Monaten des Tests.
45 BMW i3
und E-Golf
Die EnBW-Tochterfirma wollte mit dem
Projekt herausfinden, welche Belastungen auf das Stromnetz zukommen, wenn in
einigen Jahren tatsächlich viele Tiefgaragen mit Lademöglichkeiten ausgestattet
sind. Denn davon hängt ab, ob und wie die Netze ausgebaut und verstärkt werden
müssen. Daher ist es wichtig, dass die Bewohner auch tatsächlich Elektroautos
haben und nutzen.
Für den Test wurden den Bewohnern der Anlage Pura Vida 45 Elektroautos vom Typ VW E-Golf und
BMW i3 sowie kostenloser Ladestrom zur Verfügung gestellt. Die übrigen 13
Ladepunkte wurden von privaten Elektroautos der Bewohner genutzt. Weitere 27
Stellplätze in der Garage wurden nicht elektrifiziert. Die Anschlussleistung
von 124 kW verteilte ein Lastmanagement auf die 58 Ladepunkte. Der
Netzbetreiber nutzte dazu die Ladelösung Charge Here des Mutterkonzerns
EnBW.
Maximal 98
kW abgerufen
Die Auswertung des Tests hat ergeben: In den 16 Monaten betrug die
maximale Leistungsspitze knapp 98 kW. Während 884 Minuten (14,7 Stunden) wurden
mehr als 80 kW abgerufen, während 91 Minuten mehr als 90 kW.
Die Leistungsspitzen mit mehr als 80 kW lagen zwischen 18:00 und 20:30
Uhr, die Spitzen mit mehr als 90 kW zwischen 18:00 und 19:30 Uhr.
Durchschnittlich luden die 58 Autos zusammen 241,4 kWh pro Tag. Pro Ladevorgang
wurden im Durchschnitt 17,13 kWh geladen. Die durchschnittliche Ladeleistung
der Autos pro Tag lag bei 4,61 kWh.
In einer Tiefgarage in Tamm hat der Netzbetreiber Netze BW das Laden von Elektroautos getestet. (Foto: Friedhelm Greis/Golem.de)
Das Lademanagement ermöglichte
zudem ein priorisiertes Laden anhand eines Scoring-Algorithmus. Diese Funktion
wurde jedoch nicht ausgewertet. "Die Akzeptanz der
Bewohner für eine Leistungsreduktion war sehr hoch: 93 Prozent der E-Pioniere
fühlte sich hierdurch nicht eingeschränkt", sagte der
Sprecher. Die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit, über einen "Sofort
Laden"-Knopf bevorzugt einen Ladevorgang zu starten, wurde jedoch nicht
umgesetzt.
1.100 km
Fahrleistung im Monat
Im Schnitt fuhren die Elektroautos
jeden Monat 1.100 Kilometer. Das sei in Anbetracht von Homeoffice und coronabedingten Einschränkungen ein beachtlicher Wert,
schreibt der Netzbetreiber. Die jährliche Fahrleistung von 13.200 km liegt
damit noch über dem Durchschnittswert von Baden-Württemberg, der vom
Vergleichsportal Check24 im vergangenen Jahr mit 11.300 km ermittelt wurde. In Stadtstaaten wie Berlin
war die Fahrleistung mit 9.545 km deutlich niedriger.
Von Netze BW wurde nicht ausgewertet, wie hoch der Anteil der Energie
war, die in der heimischen Tiefgarage nachgeladen wurde. Es wird allgemein
davon ausgegangen, dass dieser Anteil bei 80 Prozent liegt. Für einen hohen
Anteil an Ladevorgängen in Tamm spricht die Tatsache, dass der Strom umsonst
zur Verfügung gestellt wurde und sich der BMW i3 und der E-Golf wegen der
geringen Akkukapazität nicht gut für Langstreckenfahrten eignen.
Die Messergebnisse dürften sich dennoch auf andere Tiefgaragen
übertragen lassen.
Strommenge lässt sich problemlos nachladen
Die eingesetzten 21 BMW i3 lassen
sich dreiphasig mit 11 kW laden, die 24 E-Golf hingegen nur zweiphasig mit 7,4
kW. Rein rechnerisch könnte das Limit von 124 kW bei 13 gleichzeitig ladenden
Elektroautos mit Drehstromlader überschritten werden. Zumindest dann, wenn die
maximale Ladeleistung von jedem einzelnen Auto noch abgerufen werden kann. Das
ist bei 11 kW recht lange der Fall.
In der Praxis dürfte dies jedoch
kein Problem darstellen. Die durchschnittlich gelieferte Strommenge von 241,4
kWh am Tag ließe sich bei der genannten Anschlussleistung in weniger als zwei
Stunden laden. Damit wäre ein sicheres Aufladen aller Fahrzeuge über Nacht
problemlos möglich.
20 kW
Anschlussleistung würden reichen
Allerdings dürften nur die
wenigstens Hausanschlüsse über eine Reserve von 124 kW verfügen, die dann
komplett den Elektroautos zur Verfügung gestellt werden kann. Aber die
Testergebnisse zeigen: Selbst bei einer Reserve von 50 kW lässt sich tägliche
Strommenge im Durchschnitt innerhalb von fünf Stunden laden. Unter der Annahme,
dass die Autos komplett zwischen 18:00 und 6:00 Uhr nachgeladen werden, würden
sogar 20 kW reichen.
Die verfügbare Leistung für das
Laden könnte noch durch ein dynamisches Lastmanagement gesteigert werden. Dabei
wird die abgerufene Leistung des Hauses in Echtzeit gemessen und die nicht
abgerufene Leistung über die Reserve hinaus dem Laden der Elektroautos zur
Verfügung gestellt. Vor allem nachts, wenn leistungsstarke Verbraucher wie
Herde, Backöfen oder Waschmaschinen in den Wohnungen nicht eingeschaltet sind,
steht dann mehr Strom für die Autos zur Verfügung.
Entwarnung
für Netzbetreiber und Eigentümer
Der Gleichzeitigkeitswert in Tamm
war mit 0,22 deutlich niedriger als bei einem anderen Pilotprojekt von Netze BW
in Ostfildern. Dort wurden in einer Straße mit Eigenheimen zehn Haushalte mit Elektroautos ausgestattet. Dabei luden
maximal fünf von zehn Autos gleichzeitig. Netze BW hat allerdings eingeräumt,
dass diese kleine Stichprobe nicht als repräsentativ angesehen werden könne.
nsgesamt zeigt der Test, dass die Stromnetze durch eine
stärkere Verbreitung von Elektromobilität nicht so schnell an ihre Grenzen
kommen werden. Mit Hilfe eines Lastmanagements steht sogar bei schwachen
Hausanschlüssen noch genügend Strom zur Verfügung, um den Ladebedarf zu decken.
Eine zusätzliche Spitzenglättung durch den Stromnetzbetreiber, wie aktuell von der Bundesregierung diskutiert wird, dürfte
dann nur in den wenigsten Fällen erforderlich sein.
Für Eigentümer von Tiefgaragen, die ihre Stellplätze elektrifizieren
wollen, sind die Ergebnisse des Tests ebenfalls eine positive Nachricht. Eine
teure Nachrüstung des Hausanschlusses dürfte sich in vielen Fällen vermeiden
lassen. Zumal davon auszugehen ist, dass fast vollständig elektrifizierte
Tiefgaragen und Parkplätze wie in Tamm erst in fünf bis zehn Jahren
erforderlich sein werden. Bis dahin ist die Akkutechnik möglicherweise schon
deutlich weiter fortgeschritten. Dann könnte die heimische Ladestelle nicht
mehr so wichtig sein wie heute.