Dresdens
schwerster Straßenbahnunfall
Wie die Haarnadelkurve am
Westendring Straßenbahnen zweimal zum Verhängnis wurde.
Bei Winterwetter zu schnell durch
die Kurve gefahren. Bei dem Straßenbahnunfall 1959 am Westendring in Plauen
starben elf Menschen.
Die Straßenbahn fährt jetzt im weiten
Bogen auf einer anderen Strecke. © privat
Es ist der wohl folgenschwerste Unfall in der Geschichte der Dresdner
Straßenbahn. Elf Menschen kamen ums Leben, als vor 60 Jahren auf abschüssiger
Strecke am Westendring in Dresden-Plauen eine Fahrerin der Linie 11 die
Kontrolle über ihre Bahn verlor.
Die voll besetzten Hechtwagen rasten in den Morgenstunden des 9.
Dezember 1959 durch die dortige enge Haarnadelkurve, der Anhänger sprang aus
den Gleisen, stürzte um und knallte gegen Baum und Betonmast. Eine halbe Stunde
später trafen die Rettungsmannschaften ein. Neun Fahrgäste starben noch an der
Unfallstelle, zwei weitere auf dem Weg ins Friedrichstädter Krankenhaus. Mehr
als 50 Menschen wurden verletzt. Der Sachschaden wurde mit etwa einer halben
Million Mark angegeben.
Gegen 4.55 Uhr hatte die 25-jährige
Bettina W., seit zwei Jahren Hechtwagenfahrerin, in Bühlau
ihren Dienst angetreten. Es war ein kalter, dunkler Morgen. Sprühregen nahm der
Fahrerin die Sicht. Die Gleise waren stellenweise vereist. Die Bahn hatte Coschütz pünktlich erreicht, Bettina W. machte sich auf die
Rückfahrt. Nach der Haltestelle „Kotteweg“ wurde der
Zug plötzlich immer schneller. „Wenn die so weiterfährt, landen wir an der Friedhofsmauer“,
soll einer der Fahrgäste, ein 59-jähriger Krankenpfleger, noch gemurmelt haben.
Etwa zur gleichen Zeit betätigte die Frau im Führerstand des Triebwagens 1711
verzweifelt immer wieder die Kurzschlussbremse, bei der die Bahn mit Hilfe des
Motors abgebremst wird. Vergeblich. Offensichtlich in Panik geraten, kam sie zu
spät auf den Gedanken, die normale Schienenbremse zu treten sowie Handbremse
und Sandstreuer zu betätigen, wie die spätere
Gerichtsverhandlung ergab. Das Unglück war nicht mehr zu aufzuhalten. Es war
6.21 Uhr, als es krachte.
© privat
Der Verkehrsstrafsenat des Bezirksgerichtes Dresden verurteilte die
nicht vorbestrafte Mutter zweier Kinder bei der Verhandlung etwa drei Monate
später zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Sie sei
„normal“ gefahren, hatte die Frau gesagt. Und genau das sei angesichts der
schlechten Witterung zu schnell gewesen, urteilten die Richter. Zudem habe sie
ungewöhnlich lange gebraucht, um zu reagieren, als sie sicher unter Schock
bemerkte, das die Kurzschlussbremse versagte. Wenn sie sich nämlich in einer
Spanne von etwa 15 Sekunden auf die anderen Bremsmöglichkeiten besonnen hätte,
sei das Unglück noch zu vermeiden gewesen.
Vermutlich hatte die Frau das Unheil sogar selbst heraufbeschworen, als
sie an der Haltestelle „Kotteweg“ die Scheibe
wischte, um klare Sicht zu bekommen. Dabei war sie wahrscheinlich unbemerkt an
den Rückstellknopf gekommen, so dass die elektrische Bremse nicht mehr
funktionierte. Deshalb wurde der Knopf in den Bahnen später mit einer Abdeckung
versehen.
An gleicher Stelle hatte sich schon Ende Oktober 1927, kurz nachdem die
Strecke fertiggestellt worden war, ein ganz ähnliches Straßenbahnunglück
ereignet. Auch damals war ein Anhänger umgekippt, 18 Fahrgäste waren verletzt
worden. Acht von ihnen hatten den Berichten zufolge ernstere Verwundungen
davongetragen wie Kopf- sowie Arm- und Beinverletzungen. Einem 40-jährigen
Schmied musste ein Arm amputiert werden. Ein großes Glück im Unglück sei es
gewesen, dass der Anhänger gegen zwei der dort stehenden Eisenbetonmasten der
elektrischen Oberleitung gefahren sei, hieß es in einem Zeitungsbericht. Sonst
wäre er die Böschung herabgestürzt. Damals soll der knappe Fahrplan den Fahrer
zur Eile verleitet haben.
Der Unfall von 1959 führte in der damaligen „Sächsischen Zeitung“ zu
einer aus heutiger Sicht bizarr anmutende Debatte. Ein Leser aus Zittau
schrieb, dass seiner Meinung nach bei dem Urteil über die Straßenbahnfahrerin
der psychologische Aspekt zu kurz gekommen sei. Frauen hätten nicht die
Veranlagung zum logischen Denken und würden in solchen Situationen immer
versagen, schrieb der Mann. Das sei also keine Pflichtverletzung, sondern eben
„Frauenart“.